Private Investitionen für soziale Wirkung?

Interview mit Marco Andreu

Nebst seiner Tätigkeit als Senior Projektleiter bei socialdesign hat sich Dr. Marco Andreu in den letzten Jahren im Rahmen seiner Dissertation an der Universität Warwick intensiv mit Impact Bonds auseinandergesetzt, sowohl im sozialwirtschaftlichen als auch im entwicklungspolitischen Kontext.

Angesichts aktueller Herausforderungen wie Klimawandel, Migration und zunehmende Einkommensungleichheit besteht in verschiedenen Bereichen ein Finanzierungsbedarf, der die Beiträge von staatlichen Geldgebern und traditioneller Philanthropie zunehmend übersteigt; gleichzeitig werden in verschiedenen Bereichen aus Spargründen auch Staatsgelder reduziert. Im Kontext der COVID-19-Pandemie haben sich Debatten über die Finanzierung von Leistungen im Sozial- und Gesundheitswesen und neuartige Finanzierungsmodelle intensiviert.

Nicht zuletzt seit dem Pandemie-Bond der Weltbank wird vermehrt über neue Finanzierungsmechanismen für Angebote der öffentlichen Hand oder für soziale Dienstleistungen diskutiert. Marco, kannst du uns einen kurzen Überblick über die Funktionsweise dieser Finanzierungsmechanismen geben?
«Bond» ist ein ausgesprochen dehnbarer Begriff und umfasst verschiedene Finanzierungsformen. Bei den von dir angesprochenen Pandemie-Bonds tragen die Investor*innen das Risiko, dass sie ihr Kapital nicht zurückerhalten, falls während der Laufzeit eine Pandemie ausbricht, welche bestimmte Kriterien erfüllt. Das Kapital kann zur unmittelbaren Pandemiebekämpfung genutzt werden, da es in der Regel eine Weile dauert, bis die Gelder der offiziellen Geber fliessen. Investor*innen erhalten für diese Risikonahme einen entsprechenden Zins. Die sogenannten Katastrophen-Bonds, welche von Versicherungen und Rückversicherungen ausgegeben werden, funktionieren ähnlich.

Während solche Mechanismen eher einen Versicherungscharakter haben, sind in den letzten Jahren auch verschiedene zinsbringende Investitionsformen zur gezielten Förderung sozialer oder ökologischer Projekte etabliert worden – man spricht von Impact-Investitionen. Diese umfassen mitunter sehr unterschiedliche Mechanismen und ich gehe an dieser Stelle auf zwei Formen ein.
Zum einen vergeben Investoren vermehrt Darlehen zur Finanzierung spezifischer sozialer oder umweltbezogener Projekte; dies ist zum Beispiel bei Green Bonds der Fall. Das sind im Grunde traditionelle Obligationen, die jedoch an einen bestimmten Zweck gebunden sind. Zum anderen bestehen «Impact Bonds». Bei diesem Mechanismus beauftragt eine staatliche Organisation oder eine Stiftung eine Sozialorganisation mit der Durchführung eines Projektes, welches von privaten Investor*innen vorfinanziert wird. Die Auftraggeberschaft entschädigt die Investor*innen allerdings nur, wenn bestimmte vordefinierte Wirkungsziele erreicht werden. Die gemessene soziale Wirkung – bspw. eine Verbesserung des Gesundheitszustandes einer vulnerablen Zielgruppe – löst somit Zahlungsströme aus.

Wie und wo finden solche Finanzierungsmechanismen Anwendung in der Schweiz?
Die Kantone Basel-Stadt und Genf haben auf die wachsende Nachfrage nach «Green Bonds» reagiert und in den vergangenen drei Jahren zusammengenommen über eine Milliarde Franken unter diesem Titel aufgenommen. Auch Schweizer NPOs sehen sich immer wieder Situationen ausgesetzt, in denen der Kapitalbedarf die vorhandenen Mittel übersteigt, bspw. in der Konzeptions- und Aufbauphase eines neuen Angebots. Manchmal stellen Investor*innen in solchen Situationen niedrigverzinsliches Kapital in Form von Darlehen zur Verfügung (Soft Loans). Aus meiner Sicht sind dies ebenfalls Impact-Investitionen, auch wenn sie oft nicht explizit als solche bezeichnet werden.
In Bern wurde 2015 ein Social Impact Bond (SIB) mit einer Leistungsvertragssumme von 2,7 Mio Franken lanciert. Das Projekt hat die Integration von anerkannten Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen in den ersten Arbeitsmarkt zum Ziel und soll dieses Jahr abgeschlossen werden. Dieser erste und bisweilen einzige Impact Bond in der Schweiz wurde vom Kanton Bern in Kollaboration mit der Unternehmerinitiative Fokus Bern, dem Vermögensverwalter Invethos und Caritas Bern realisiert. Andere Schweizer SIBs befinden sich aktuell in der Konzeptionsphase.

Ferner hat die Schweiz sich an verschiedenen Impact Bonds im Ausland beteiligt, bspw. das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) an einem SIB für die Arbeitsmarktintegration von armen Bevölkerungsschichten in Kolumbien. Im Kontext der internationalen Zusammenarbeit wird unterschieden zwischen Humanitarian Impact Bonds (HIBs) und Development Impact Bonds (DIBs). Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) unterstützt das «Programme for Humanitarian Impact Investment» des Internationale Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), welches den Bau und Betrieb von Rehabilitationszentren in Mali, Nigeria und der Demokratischen Republik Kongo finanziert. Letzteres ist zwar kein offizieller Impact Bond, aber funktioniert nach ähnlichen Prinzipien.

Spannend! Was sind denn die Vorteile von Impact Bonds? Welches sind die Risiken?
Die Grundidee ist, dass der Mechanismus zum Erproben von neuen, innovativen Ansätzen animiert – bspw. in der Gesundheitsprävention oder der Arbeitsintegration – die unter einer eher risikoaversen Regelfinanzierung keine Unterstützung fänden. Es soll also mehr Innovation möglich werden, auch durch das Einbinden von unterschiedlichen Akteur*innen und deren Perspektiven sowie einem konsequenten Fokus auf die direkte positive Wirkung bei einer Zielgruppe, d.h. sogenannte «Outcomes». Für Dienstleistende wie bspw. NPOs entfällt dadurch die Vorfinanzierung, das heisst, dass sie weniger Mittel binden, resp. selbst aufnehmen müssen und sich so ihr finanzielles Risiko reduziert. Gleichzeitig erhalten sie oft auch mehr unternehmerischen Spielraum bzgl. der Art und Weise, wie sie die Mittel einsetzen. Da Impact Bonds in aller Regel präventive Modelle finanzieren, wird auch davon ausgegangen, dass sie längerfristig zu Kosteneinsparungen für die öffentliche Hand führen; diese sind allerdings oft nicht klar quantifizierbar.

Risiken sehe ich in folgenden Bereichen: Oft erfordern die Konzipierung und die Ausschreibung von Impact Bonds zusätzlichen Aufwand, welcher nicht «produktiv» ist. Dieser Aufwand wird typischerweise über Zuschüsse und Subventionen finanziert, damit solche Programme für Investor*innen überhaupt finanziell rentieren. Hier drängt sich die Frage auf, wie attraktiv ein solches Modell ist – für alle Beteiligten. Meine Erfahrung ist ferner, dass durch Impact Bonds finanzierte Angebote auch im Erfolgsfall praktisch nie weitergeführt und nicht in die Regelfinanzierung übernommen werden. Dies ist aus wohlfahrtsstaatlicher und philanthropischer Sicht bedenklich, da die gewonnen Erkenntnisse/Innovationen auf diese Weise nicht aufgenommen und weiterentwickelt werden. Für betroffene Zielgruppen ist dies auch problematisch, weil bestehende Angebote dann einfach enden, der Bedarf der Personen aber weiterhin besteht. Ein weiteres Risiko liegt darin, dass zugrundeliegende Wirkungsmodelle oft nicht «wasserdicht» sind und eher aus einem Projektmanagement-Kontext stammen. Letzten Endes ist es auch eine politische Frage, ob privates Risikokapital und Renditen in die Sozialwirtschaft oder Entwicklungszusammenarbeit gehören und es bestehen Ängste bezüglich der damit verbundenen hohen Komplexität, der Privatisierung und des möglichen Kontrollverlusts.

Welches sind deiner Einschätzung nach die langfristigen Potentiale von Impact Bonds?
Ich denke, dass gerade in der Schweiz wichtige Investitionen oft durch andere und günstigere Modelle als Impact Bonds finanziert werden können. Gleichzeitig sehe ich schon Potenziale im wirkungsorientierten Finanzierungs-Ansatz. Erstens kann die wirkungsorientierte Steuerung von Projekten und das frühzeitige Erkennen von Problemen den Dialog zwischen Sozialorganisationen und Leistungsbestellern verbessern; sie kann auch zu einer grösseren Flexibilität führen, da NPOs nicht im Detail vorgeschrieben wird, wie sie das Geld zu verwenden haben, sondern v.a. die Resultate zählen. Zweitens gibt es Potenzial für die Akquirierung von zusätzlichen Mitteln für die Finanzierung von neuen, innovativen und v.a. präventiven Angeboten. Es gibt auch eine gesteigerte Nachfrage vonseiten der Investor*innen, da immer mehr institutionelle und individuelle Investor*innen ihr Vermögen nicht mehr «unmoralisch» anlegen möchten, sondern zugunsten von sozialen und ökologischen Initiativen, wenn auch mit unterschiedlich hoher Risikobereitschaft. Vor diesem Hintergrund können Impact Bonds eine Möglichkeit sein, neue Ansätze und Methoden zu testen, die gerade im Rahmen von klassischen Leistungsverträgen eher nicht zustande kämen. Falls ein solcher «Test» erfolgreich verläuft, müssen aber unbedingt Wege gesucht werden, um das Angebot in eine Regelfinanzierung zu überführen.

Angenommen, meine Organisation hätte Interesse daran, ein Projekt über eine solche Finanzierungslogik zu finanzieren, wie müsste sie vorgehen?
Das Vorgehen kann sich je nach Intervention und Anspruchsgruppen stark unterscheiden. Holzschnittartig ist das Vorgehen aber in etwa das folgende: In einer ersten Phase braucht es zunächst eine klare Definition der Problemstellung sowie der Zielgruppe. In einer zweiten Phase entwickelt man die Programmstruktur sowie die Wirkungsziele und mögliche Messmethoden. Bereits in dieser zweiten Phase lohnt es sich, einen Anspruchsgruppen-Dialog zu führen und potenzielle Leistungsbesteller*innen, Leistungserbringende und Investor*innen einzubinden. Ziel ist es, auf einen Business Case hinzuarbeiten, den diese Anspruchsgruppen prinzipiell genehmigen können. Eventuell zeichnet sich zu diesem Zeitpunkt auch ab, dass ein Impact Bond nicht der zielführende Finanzierungsmechanismus ist. In einer dritten Phase wird ein detailliertes Betriebs- und Wirkungsmessungskonzept erstellt sowie das entsprechende Finanzierungskonzept, um das Vorhaben zu konkretisieren.

Basierend auf diesen Konzepten sollten bereits Absichtserklärungen eingeholt werden, v.a. von einem oder mehreren Leistungsbestellern; dies bildet die Basis des Impact Bond. In einer vierten Phase finden dann die konkreten «Pitches» bei Investor*innen statt, d.h. die Sicherung des benötigten Kapitals für ein vollständig finanziertes Programm. In der fünften und letzten Phase werden die entsprechenden Verträge ausgearbeitet und unterzeichnet; das Programm wird implementiert und die Leistungserbringung startet.

Lohnen sich Impact Bonds erst aber einer gewissen Investitionssumme / ab einem gewissen Kostendach?
Das ist sehr schwer zu beurteilen, da die Projekte sehr unterschiedlich ausfallen, nicht nur hinsichtlich ihrer Grösse und Betriebskosten, sondern auch hinsichtlich der Kosten für den Aufbau. Das durchschnittliche Volumen der Vorfinanzierung betrug bei den 194 bisher weltweit realisierten Impact Bonds rund 2,9 Millionen CHF. Eine allgemeine Regel kann es in diesem Bereich aber nicht geben. Mit Blick auf den bereits erwähnten Entwicklungsprozess bedarf es allerdings schon eines gewissen Volumens, damit sich ein solcher Aufwand überhaupt lohnt.

Wie wird bei Impact Bonds die Performance gemessen? Wer entscheidet, ob eine gewisse Wirkung erreicht wurde? Was geschieht, wenn die Wirkung nicht eintritt?
Auch hier gibt es keine vorgeschriebenen Regeln. Beim Design der Wirkungsmessung müssen auf jeden Fall elementare methodische und sozialwissenschaftliche Grundlagen beachtet werden. In der Regel empfiehlt es sich, sowohl harte (bspw. Integrationsquote oder Schulden-Reduktion) als auch weiche Faktoren (Verbesserung der Lebensqualität und -perspektiven) zu messen, d.h. die Leistungsnutzenden einzubeziehen. Ferner muss die Wirkungsmessung in die betrieblichen Prozesse eingebettet und für Mitarbeitende nachvollziehbar sein. Die Wirkungsziele werden vor dem Start des Projekts festgelegt und messen typischerweise eine bestimmte Verbesserung gegenüber historischen Werten oder gegenüber dem Status Quo (bspw. mittels randomisierten kontrollierten Studien).

Typischerweise erfolgt das Reporting periodisch, sodass Anpassungen des Programms direkt vorgenommen werden können, wie bspw. eine Zusatzschulung von Mitarbeitenden oder ergänzende Massnahmen für Klient*innen. Die zentrale Idee ist, dass man Erkenntnisse nicht erst aus einer Evaluation ex post gewinnt, sondern laufend schaut, wo man steht und entsprechend reagieren und Anpassungen vornehmen kann. Die finanzrelevanten Wirkungszahlen sind in aller Regel von einer finalen Evaluation abhängig, welche von einer unabhängigen externen Organisation durchgeführt werden. Diese Evaluation zeigt dann auf, wie erfolgreich das Programm war und ob, resp. in welchem Grade, die Investoren von der Auftraggeberschaft vergütet werden.

Vielen herzlichen Dank, Marco, für deine erkenntnisreichen Antworten!